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Key Facts
Kanada hat es getan, Uruguay ebenfalls, einige Staaten der USA schon länger und selbst in Deutschland ist die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken nun tatsächlich im neuen Koalitionsvertrag verankert. Weltweit geht der Trend zur Legalisierung von Cannabis. Und kürzlich entschied sogar die UN, Cannabis von der Liste der harten Drogen zu entfernen. Alles halb so wild also?
Nachdem lange Zeit die negativen Aspekte von Cannabis im Vordergrund standen, scheint jetzt die Versuchung groß, die Droge zu verharmlosen: Laut dem WHO Drogenreport schätzten 2019 deutlich mehr Jugendliche Cannabis als harmlos ein als noch 1995. Und das, obwohl der Anteil an THC in Cannabis sich in dieser Zeit beinahe vervierfacht hat.
Abseits von ideologischen Diskussionen pro und contra Cannabis haben wir uns angeschaut, wie es laut Forschungen wirklich um das Suchtpotential von Cannabis steht.
Ein problematischer Konsum von Cannabis gilt laut American Psychiatric Association als „Cannabiskonsumstörung“. Diese gehört zu den sogenannten Substanzstörungen.
Eine Substanzstörung liegt immer dann vor, wenn Konsument:innen eine Substanz trotz schwerwiegender negativer Folgen weiterhin konsumieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem pathologischen Verhaltensmuster.
Gemeinsam haben alle Substanzstörungen, dass die entsprechende Substanz direkt das Belohnungssystem des Gehirns anspricht. Die Ausprägung und Schwere der Störung können allerdings sehr unterschiedlich sein. So gibt es insgesamt zehn Klassen an Substanzen, die eine solche Störung hervorrufen können – Alkohol und Opioide etwa, aber auch Kaffee und eben Cannabis.
Bei einer großangelegten Studie in den USA wurde untersucht, wie viele Konsumenten von Nikotin, Alkohol, Cannabis oder Kokain im Laufe ihres Lebens süchtig nach diesen Substanzen wurden.
Basierend auf den Ergebnissen geht man in etwa von folgenden Wahrscheinlichkeiten für eine Abhängigkeit aus:
Hierbei handelt es sich jedoch um Zahlen, die den Freizeitkonsum betreffen. Warum sich die Lage bei medizinischem Cannabis noch einmal anders verhalten könnte, erfahren Sie hier.
Die American Psychiatry Association nennt folgende Faktoren als ausschlaggebend bei der Entwicklung einer Cannabiskonsumstörung:
Ein höheres Risiko für eine Substanzstörung haben zum Beispiel Menschen, die in der Kindheit oder Jugend eine Vorgeschichte mit Verhaltensstörungen hatten. Auch wer in dieser Zeit mit externalisierenden Störungen wie ADHS oder internalisierenden Störungen wie Depressionen oder Angststörungen zu kämpfen hat, kann eher eine Cannabiskonsumstörung – oder eine andere Substanzstörung – entwickeln.
Schulisches Versagen, das Rauchen von Tabak oder ein niedriger sozioökonomischer Status zählen zu den möglichen Risikofaktoren. Je leichter Cannabis erhältlich ist, desto geringer kann außerdem die Hemmschwelle sein, es häufiger oder erneut zu konsumieren.
Eine Cannabiskonsumstörung kann sich zudem eher entwickeln, wenn bereits eine Substanzstörung in der Familie vorliegt. Instabile oder missbräuchliche Familienverhältnisse wirken ebenfalls begünstigend.
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Seit langem wird diskutiert, ob der Konsum von Cannabis schulische Leistungen negativ beeinflusst. Und tatsächlich scheint es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabiskonsum und einem Schulabbruch sowie schlechteren schulischen Leistungen zu geben.
Allerdings legen neuere Analysen nahe, dass der Konsum von Cannabis dabei eine kleinere Rolle spielt als bisher angenommen. Ausschlaggebend könnten etwa der Konsum anderer Substanzen oder Verhaltensweisen wie Schulschwänzen sein, die oft parallel stattfinden – und sich die Risikofaktoren häufig mit Cannabiskonsum teilen.
Dafür sprechen auch Studien mit ein- und zweieiigen Zwillingspaaren, bei denen jeweils ein Part Cannabis konsumierte. Die Forscher konnte keinen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und einem frühzeitigen Verlassen der Schule oder der Anzahl der Ausbildungsjahre feststellen.
Nichtsdestotrotz gilt Cannabiskonsum im Jugendalter aus einem anderen Grund als problematisch: Denn man weiß heute, dass ein starker Cannabiskonsum im jugendlichen Alter die Entwicklung des Gehirns beeinflussen kann.
Laut American Psychiatry Association sind manche Menschen genetisch anfälliger für Cannabiskonsumstörungen. Man geht jedoch davon aus, dass diese Veranlagung nicht nur für Cannabis gilt, sondern genauso andere Substanz- und Verhaltensstörungen im Jugendalter beeinflussen kann.
Ein Zusammenspiel vieler Faktoren
In punkto Umweltfaktoren spielt unter Umständen auch das soziale Umfeld eine wichtige Rolle: Gerade bei Jugendlichen nehmen die Peers eine besondere Stellung ein. Doch auch unabhängig vom Alter wird die Situation schwierig, wenn das soziale Umfeld aus Cannabiskonsument:innen besteht. So fällt es etwa deutlich schwerer, mit dem Konsum aufzuhören oder diesen zu reduzieren, wenn das eigene Umfeld die Substanz konsumiert.
Insgesamt gibt es bei der Entstehung einer Substanzstörung, wie etwa der Cannabiskonsumstörung, eine Vielzahl potenzieller Faktoren, die an dieser Stelle gar nicht erschöpfend aufgezählt werden können. Dies zeigt, wie vielschichtig man die Suche nach den Auslösern angehen muss.
Eine Substanzstörung kann sowohl körperliche und psychische Konsequenzen als auch Verhaltensänderungen zur Folge haben.
Bei höheren Dosen von Cannabis – ob akut oder chronisch – ist womöglich eine verminderte Leistungsfähigkeit die Folge. Dies wiederum kann zu beruflichen oder schulischen Problemen führen. Auch ein sozialer Rückzug gilt als mögliche Folge von übermäßigem Cannabiskonsum.
Insgesamt sind wiederkehrende Probleme im sozialen, beruflichen oder schulischen Umfeld ein wichtiger Indikator für die Feststellung einer Cannabiskonsumstörung.
Betroffene nehmen unter Umständen ein erhöhtes körperliches Risiko bei Tätigkeiten wie dem Autofahren, der Ausübung bestimmter Sportarten oder der Bedienung von Maschinen in Kauf. Außerdem konsumieren sie Cannabis womöglich im Wissen, dass es etwaige psychische Probleme verschlimmern könnte.
Wer unter einer Cannabiskonsumstörung leidet, erfährt bei Cannabisentzug psychische und physische Symptome. Sie sind in der ersten Woche der Abstinenz am intensivsten, können aber bis zu einen Monat lang anhalten.
Von akuten Entzugserscheinungen ist dann die Rede, wenn mindestens zwei der folgenden psychischen und eines der physischen Symptome vorliegen:
Psychische Entzugserscheinungen
Körperliche Entzugserscheinungen
Die körperlichen Entzugserscheinungen bei Cannabis fallen im Vergleich zu Alkohol eher mild aus. Dafür ist die psychische Abhängigkeit jedoch mitunter stark ausgeprägt. Gemeinsam können sie die Beendigung des Konsums erschweren oder einen Rückfall wahrscheinlicher machen.
Eine einheitliche Therapie für die Cannabiskonsumstörung zu finden, gestaltet sich schwierig. Psychotherapeutisch ist eine Cannabiskonsumstörung schwer zu behandeln. Für eine medikamentöse Behandlung testete man zwar schon Antidepressiva, Anxiolytika (Angstlöser) oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Keines dieser Medikamente wurde bisher allerdings für eine Cannabis Sucht Therapie zugelassen.
Interessanterweise gibt es Hinweise, dass ausgerechnet ein Inhaltsstoff von Cannabis die Cannabiskonsumstörung lindern könnte. Forscher:innen stellten bei einer placebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudie fest, dass die Einnahme von täglich 400 beziehungsweise 800 mg CBD im Vergleich zum Placebo zu einer moderaten Reduktion des Cannabiskonsums führte.
Vor dem Hintergrund eines fehlenden Medikaments zur Behandlung einer Cannabiskonsumstörung könnten die Befunde umso interessanter sein. Die Forschenden geben jedoch zu bedenken, dass zum einen weitere und größere Studien nötig seien, um einen potenziellen Effekt tatsächlich nachzuweisen. Zum anderen wiesen sie darauf hin, dass es sich bei der verabreichten Menge um die vielfache Dosis von handelsüblich erhältlichem CBD handelte.
Die Theorie der „Einstiegsdroge Cannabis“ besagt, dass der Konsum von Hanf als Einstieg zu härteren Drogen gelte. Laut deutscher Hauptstelle für Suchtfragen gilt dieses Argument nach heutigem Wissensstand jedoch als nicht mehr haltbar.
Zwar haben etwa viele Heroinabhängige früher Cannabis geraucht. Das dürfte jedoch vor allem daran liegen, dass Cannabis – genauso wie etwa Alkohol oder Nikotin – weit verbreitet ist: Man weiß mittlerweile, dass nur ein geringer Anteil der Cannabiskonsumenten langfristig auf andere Drogen umsteigt.
Tatsächlich gibt es einen Punkt, an dem Cannabis tatsächlich als Einstiegsdroge dienen könnte. Dieser wird jedoch häufig übersehen und wenig diskutiert: Weil im Joint Cannabis häufig mit Tabak gemischt wird, könnten Konsument:innen nikotinsüchtig werden.
Die exakte Wirkung von Cannabis ist nicht genau planbar aber, im Gegensatz zu den legalen Drogen Alkohol und Tabak gibt es für Cannabis bei einigen Indikationen Hinweise auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes oder zumindest eine Linderung der Symptome. Daher ist der Cannabiskonsum zu medizinischen Zwecken in Deutschland seit 2017 erlaubt.
Die Wahrscheinlichkeit, durch medizinisches Cannabis eine Cannabiskonsumstörung zu entwickeln, gilt aber als gering. Der Grund dafür liegt schlicht und einfach in der Motivation hinter dem Konsum:
Wer auf Dauer das High sucht – und wieder und wieder braucht – wird die Dosis steigern und auf das Gefühl irgendwann nicht mehr verzichten wollen.
Wer jedoch von seinem Arzt oder seiner Ärztin Cannabis auf Rezept verschrieben bekommt, also Cannabis als Medizin (und nicht als Droge) zu sich nimmt, tut das mit geringer und vor allem: konstanter Dosis. Ein High wie beim Freizeitkonsum mag sich zu Beginn als Nebeneffekt einstellen, verfliegt aber wieder. Im Vordergrund steht die Verbesserung des medizinischen Problems oder seiner Symptome. Ist diese erreicht, sollten Nutzer:innen von medizinischem Cannabis die Behandlung in aller Regel ganz normal absetzen können.
Ärztliche Begleitung als Kontrollinstanz
Wie bei jedem anderen Medikament, können und sollten Ärzt:innen und Patient:innen gemeinsam die Vor- und Nachteile über die gesamte Dauer der Behandlung hinweg im Blick behalten. Die Vielzahl an medizinischen Cannabissorten lässt es dabei zu, die Behandlung auf die individuelle Situation zuzuschneiden.
Da der Freizeitkonsum von Cannabis in Deutschland nach wie vor rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, empfiehlt sich für Nutzer:innen von medizinischem Cannabis das Mitführen eines ärztlich ausgestellten Cannabisausweises.
Ja, Cannabis kann abhängig machen. Die Wahrscheinlichkeit ist im Vergleich zu sozial akzeptierten Drogen wie Alkohol oder Cannabis allerdings deutlich geringer.
Dennoch ist das kein Grund zur Verharmlosung. Denn im Fall einer Cannabiskonsumstörung können gerade die psychischen und sozialen Folgen erheblich sein. Betroffene und deren Angehörige finden sich womöglich in einem Teufelskreis wieder, bei dessen Überwindung sie nicht alleine gelassen werden sollten.
Geht man einen Schritt zurück, stellt man fest, dass bei der Entstehung einer Cannabiskonsumstörung neben persönlicher Veranlagung auch Umweltfaktoren sowie genetische und physische Faktoren möglicherweise eine Rolle spielen.
Wichtig ist jedoch, dass verschiedenste Substanz- und Verhaltensstörungen sich ähnliche Risikofaktoren zu teilen scheinen. Wer also zum Beispiel in einem instabilen familiären Umfeld aufwuchs, ist unter Umständen anfälliger für schädliche Verhaltensmuster, die sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern können. Das heißt aber auch: Ein präventiver Ansatz könnte sich auf den Konsum von Cannabis und anderer Substanzen gleichermaßen auswirken. Für weitere Informationen zu medizinischen Cannabis schauen Sie gerne in unserer Cannabis Apotheke vorbei.
Sie glauben, Sie könnten unter einer Cannabiskonsumstörung leiden – oder kennen jemanden, bei dem dies der Fall sein könnte? Unter drugcom.de, einem Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, finden Sie einen Selbsttest bei Verdacht auf eine Cannabiskonsumstörung. (Achtung: Der Test betrifft ausschließlich Freizeitkonsumenten und ist nicht an Nutzer von medizinischem Cannabis gerichtet).
Quelle:
Bericht der WHO: The health and social effects of nonmedical cannabis use (2016)
Bericht der WHO: World Drug Report 2021 - Drug Market Trends: Cannabis Opioids
Review: Keep off the grass? Cannabis, cognition and addiction (Curran, Freeman et al., 2016)
Klassifikationssystem der American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorder - Fifth Edition - DSM 5 (2013)
Ergebnisse einer US-Umfrage zum Konsum von Alkohol und vergleichbaren Substanzen: Probability and predictors of transition from first use to dependence on nicotine, alcohol, cannabis, and cocaine: Results of the National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions (NESARC) (Lopez-Quintero, de los Cobos et al., 2011)
Placebokontrollierte randomisierte Doppelblindstudie zum Einsatz von CBD bei Cannabiskonsumstörungen: Cannabidiol for the treatment of cannabis use disorder: a phase 2a, double-blind, placebo-controlled, randomised, adaptive Bayesian trial (Freeman, Hindocha et al., 2020)
Artikel der Süddeutschen Zeitung: Medizinisches Cannabis – Werden Cannabis-Patienten süchtig? (11.09.2013)
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