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Cannabis als Medizin
Die Verwendung von Cannabis als Rausch- und Heilmittel hat eine lange Tradition. Im Internet finden sich etliche Erfahrungsberichte zum Thema Cannabis in der Medizin – darunter auch viele Mythen. Die einen preisen es als Wundermittel, während andere der Pflanze jede medizinische Wirkung absprechen und vor den Gefahren warnen. Doch was ist wahr? Im Folgenden schauen wir uns einmal an, was die Wissenschaft zum Thema Cannabis in der Medizin zu berichten weiß.
Inhalt
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Was ist medizinisches Cannabis
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Woher kommt das medizinische Cannabis
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Medizinisches Cannabis: Droge vs. Medizin
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Welche Cannabis-Medikamente gibt es?
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Anwendung von Medizinalcannabis
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Cannabis-Wirkung: Wie wirkt Cannabis im Körper?
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Cannabisarzneimittel: Bei welchen Krankheiten und Symptomen wird Medizinalcannabis eingesetzt?
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Wann kann Cannabis zu medizinischen Zwecken verordnet werden?
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Cannabis auf Rezept: Was sich 2024 geändert hat
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Medizinisches Cannabis auf Rezept: So funkioniert es
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Quellen
Key Facts
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Cannabisarzneimittel sind Medikamente, die aus der Cannabispflanze gewonnen werden oder cannabisähnliche Wirkstoffe enthalten.
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Für die therapeutische Wirkung sind insbesondere die Inhaltsstoffe THC und CBD von Bedeutung.
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Cannabis wirkt über ein körpereigenes Signalsystem (Endocannabinoidsystem), dessen Bestandteile überall im Körper zu finden sind.
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Die Wirksamkeit wurde und wird in einer Vielzahl von Studien untersucht, teilweise mit vielversprechenden ersten Ergebnissen. Die Menge an qualitativ hochwertigen Studien ist aktuell noch gering, daher ist die Aussagekraft je nach Erkrankung mäßig bis unklar.
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Zu den Anwendungsbereichen, in denen Cannabis eingesetzt wird gehören u. a.: chronische Schmerzen, Spastizität bei Multipler Sklerose, Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen, seltene Formen der Epilepsie, Gewichtsverlust und Anorexie bei HIV/AIDS
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Medizinisches Cannabis wird hauptsächlich inhaliert oder oral eingenommen
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Nach Vorlage eines gültigen Standard-Rezeptes von einer Ärztin oder einem Arzt sind Cannabisprodukte in den Apotheken erhältlich.
Was ist medizinisches Cannabis?
Als medizinisches Cannabis, Medizinalcannabis, Cannabisarzneimittel, cannabisbasierte Arzneimittel oder cannabinoidbasierte Arzneimittel (CAM) werden Medikamente bezeichnet, die aus der Cannabispflanze (lateinisch: Cannabis sativa L., deutsch: Hanfpflanze) gewonnen werden oder cannabisähnliche Wirkstoffe enthalten. Letztere können entweder aus der Pflanze isoliert oder im Labor hergestellt worden sein. Wird der Begriff „Cannabis“ ohne weitere Ausführung verwendet, ist meist allgemein die Pflanze Cannabis (Cannabis sativa L.) oder die getrocknete weibliche Cannabisblüte (häufigste Darreichungsform von cannabisbasierten Arzneimitteln) gemeint. Ziel bei einer Therapie mit medizinischem Cannabis ist immer die Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden und Symptomen und keineswegs der Gebrauch als Genussmittel.
Woher kommt das medizinische Cannabis?
Schwerkranke Patient:innen erhalten medizinische Cannabisblüten oder Cannabispräparate in der Apotheke. Um eine gleichbleibend hochwertige Qualität sicherzustellen, hat das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) mit dem Gesetz „Cannabis als Medizin“ 2017 auch eine staatliche Cannabisagentur ins Leben gerufen. Diese kontrolliert und steuert den Anbau, die Verarbeitung und die Abgabe von medizinischem Cannabis in Deutschland. Neben dem in Deutschland angebauten Cannabis wird der Bedarf auch durch Importe gedeckt, insbesondere aus Ländern wie Kanada, Portugal und Dänemark.
Medizinisches Cannabis: Droge vs. Medizin
Cannabis gehört zu den ältesten Kultur- und Nutzpflanzen. Es wurde über viele Jahrhunderte als Rauschmittel verwendet – allerdings ist Cannabis auch eine der ältesten Heilpflanzen, die wir kennen. Heute gehört Cannabis nach Schätzungen der WHO mit Abstand zu der häufigsten angebauten, gehandelten und missbrauchten illegalen Drogen weltweit. Ungefähr 147 Millionen Menschen, das bedeutet etwa 2,5 % der Weltbevölkerung, konsumieren Cannabis im Jahr. Im Vergleich dazu gibt es etwa 0,2 % Kokain- und Opiatkonsumenten.
Die Versorgung von kranken Menschen mit cannabisbasierten Arzneimitteln und Medizinprodukten wird vor diesem Hintergrund kontrovers diskutiert. Eine häufige Sorge von Ärzt:innen ist, dass der Konsum von Cannabis zu Abhängigkeit, Missbrauch oder gesundheitlichen Risiken führen kann. Das körperliche und psychische Abhängigkeitspotenzial ist aber im Vergleich zu anderen Substanzen als gering einzuschätzen. Das macht Medizinalcannabis zu einem Medikament mit einem vergleichsweise kleinen Therapierisiko.
Seit dem 10. März 2017 ist es in Deutschland möglich, dass Ärzt:innen cannabishaltige Arzneimittel für Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen mit verhältnismäßig geringem Aufwand verordnen können. Trotz der Teillegalisierung von Cannabis im Jahr 2024 bleibt die Diskussion um den medizinischen Nutzen kontrovers. Während einige Cannabis als harmloses Naturheilmittel feiern, sehen andere darin weiterhin ein verharmlostes Rauschmittel.
Die Realität liegt – wie so oft – vermutlich irgendwo dazwischen. Cannabis ist kein Allheilmittel und wie bei jedem Medikament müssen Nutzen und Risiken individuell abgewogen werden. Das wachsende wissenschaftliche Interesse hat in den letzten Jahren aber zu zahlreichen neuen Erkenntnissen geführt – und die Forschung bleibt dynamisch. Welche Rolle medizinisches Cannabis langfristig in der Therapie spielen wird, ist also weiterhin eine spannende Frage.
Welche Cannabis-Medikamente gibt es?
Es gibt verschiedene Cannabis-Medikamente, die in der medizinischen Therapie eingesetzt werden. Sie lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen:
1. Cannabisblüten und -extrakte
Diese Produkte stammen direkt aus der Cannabispflanze und enthalten ein breites Spektrum an Cannabinoiden wie THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol).
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Cannabisblüten: Werden meist verdampft oder oral eingenommen.
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Cannabisextrakte: Flüssige oder ölige Zubereitungen für eine präzisere Dosierung.
2. Cannabinoid-basierte Fertigarzneimittel
Diese Medikamente enthalten standardisierte Mengen an Cannabinoiden und sind als zugelassene Arzneimittel erhältlich:
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Sativex® (THC & CBD): Wird zur Behandlung von Spastiken bei Multipler Sklerose eingesetzt und als Mundspray verabreicht.
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Epidyolex® (CBD): Eingesetzt bei bestimmten Formen schwerer Epilepsie.
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Canames® (Nabilon): Ein synthetisches Cannabinoid zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie.
3. Rezepturarzneimittel mit Cannabinoiden
Diese werden in der Apotheke individuell zubereitet und auf ärztliche Verschreibung hin hergestellt:
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Dronabinol (THC): Wird als Öl oder Kapseln zur Behandlung von Schmerzen, Appetitlosigkeit und Übelkeit eingesetzt.
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CBD-Lösungen: Werden bei bestimmten neurologischen und psychischen Erkrankungen verschrieben.
Jede dieser Optionen hat spezifische Einsatzgebiete, Wirkmechanismen und Verabreichungsformen – die Wahl des passenden Medikaments erfolgt individuell in Absprache mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt.
Anwendung von Medizinalcannabis
In der Therapie mit Medizinalcannabis kommen vor allem zwei Verabreichungsarten zum Einsatz:
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Inhalation (Einatmen)
Zur Inhalation sollte immer ein medizinischer Verdampfer (Vaporisator) eingesetzt werden. Dieser erhitzt das Cannabisarzneimittel (z. B. Cannabis-Blüten) auf eine Temperatur zwischen 180 und 210 °C. Dadurch werden die Wirkstoffe in ihre aktive Form umgewandelt und durch Verdampfung inhalierbar gemacht. Der Vorteil eines medizinischen Verdampfers ist, dass es nicht zu einer Verbrennung kommt und kein Rauch mit giftigen Nebenprodukten entsteht. Über die Lunge gelangen die Wirkstoffe schnell in den Blutkreislauf. Dadurch tritt eine Wirkung schon innerhalb weniger Sekunden bis Minuten ein und hält anschließend für ca. 2-3 Stunden an. -
Orale Einnahme (Schlucken)
Bei der Anwendung über den Mund (z. B. als Tropfen oder Kapsel) gelangt das Arzneimittel zunächst in den Magen-Darm-Trakt. Bevor die Inhaltsstoffe den Blutkreislauf erreichen können, werden sie in der Leber verstoffwechselt (First-Pass-Effekt). Das bedeutet, dass im Vergleich zur Inhalation ein chemisch leicht veränderter Wirkstoff entsteht. Der Eintritt der vollen Wirkung erfolgt erst nach ca. ein bis zwei Stunden, kann dann aber bis zu 8 Stunden und länger anhalten.
Je nachdem, ob eher ein schneller Wirkeintritt oder eine länger anhaltende Wirkung gewünscht ist, kann die Darreichungsform an die Bedürfnisse der Patientin oder des Patienten angepasst werden.
Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über einige wichtige Eigenschaften der beiden Darreichungsformen inhalativ und oral:
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Inhalative Einnahme |
Orale Einnahme |
Wie viel Wirkstoff steht dem Körper zur Verfügung? |
15-35 % |
3-12 % |
Wirkungseintritt |
Sekunden bis Minuten |
30-90 Minuten |
Maximale Wirkung bei |
20 Minuten |
2-4 Stunden |
Dauer der Wirkung |
2-3 Stunden |
4-8 Stunden |
Verarbeitung über die Leber (First-Pass-Effekt) |
Nein |
Ja |
Cannabis-Wirkung: Wie wirkt Cannabis im Körper?
Die Cannabispflanze enthält mehrere hundert potenziell wirksame Substanzen. Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen gehören die Cannabinoide, von denen mehr als 100 bekannt sind. In der Therapie mit Medizinalcannabis spielen vor allem die Cannabinoide Δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) eine entscheidende Rolle.
THC
THC ist das bisher am besten untersuchte Cannabinoid aus der Hanfpflanze. Es löst die meisten bekannten körperlichen und psychischen Wirkungen von Cannabis aus.
In Studien konnte bisher unter anderem folgende Effekte von THC beobachtet werden: schmerzlindernd, schlaffördernd, appetitanregend, gegen Übelkeit und Erbrechen wirksam, euphorisierend, unterstützend bei der Suchtentwöhnung, Tics-reduzierend (z. B. bei Tourette-Syndrom), krampflösend (v. a. der glatten Muskulatur).
Die Qualität der zugrundeliegenden Studien ist jedoch in vielen Fällen leider nicht so hoch, dass sich daraus auch allgemeine Aussagen zur Wirkung ableiten ließen.
CBD
Cannabidiol (CBD) wirkt im Gegensatz zu THC nicht berauschend.
Für folgende Wirkungen von CBD liegen Hinweise vor:
entzündungshemmend, schlaffördernd, angstlösend, krampflösend (zusammen mit THC), kann die psychoaktive Wirkung von THC abmildern.
Auch hier gilt leider noch das traurige Mantra der Cannabis-Forschung: Hochwertige, groß angelegte Studien sind nach wie vor rar. Daher lassen sich für viele Anwendungsbereiche noch keine abschließenden Aussagen zur Wirksamkeit treffen. Dennoch wächst das wissenschaftliche Interesse stetig. Erste Studien liefern vielversprechende Hinweise auf therapeutische Effekte, doch die methodische Qualität und Aussagekraft sind oft begrenzt. Je nach Erkrankung sind die bisherigen Ergebnisse deshalb mit Vorsicht zu bewerten – von mäßig aussagekräftig bis unklar.
Insgesamt ähneln sich die Cannabinoide in ihrer chemischen Struktur. Sie kommen nicht nur in der Cannabispflanze vor (Phytocannabinoide), sondern werden auch von unserem Körper gebildet (Endocannabinoide). Dort dienen sie als Botenstoffe und nehmen unter anderem Einfluss auf Schmerzempfinden, Immunsystem, Entzündungsprozesse, Appetit, Gedächtnisleistung und Psyche.
Synthetisch hergestellte Cannabinoide weichen in ihrer chemischen Struktur von den körpereigenen und pflanzlichen Varianten ab. Wie genau sie im Körper wirken, ist jedoch noch nicht vollständig verstanden. Trotz intensiver Forschung bleiben viele Fragen offen – insbesondere zu den langfristigen Effekten und dem Zusammenspiel mit dem Endocannabinoid-System. Klar ist: Die Wissenschaft steht hier noch am Anfang, und weitere Studien sind nötig, um die Mechanismen besser zu entschlüsseln.
Ein Beispiel für ein synthetisches Cannabinoid ist Canames® (Wirkstoff: Nabilon), das bei Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie eingesetzt wird. Es ahmt die Wirkung natürlicher Cannabinoide nach und kann helfen, Beschwerden zu lindern, wenn herkömmliche Medikamente nicht ausreichen.
Cannabisarzneimittel: Bei welchen Krankheiten und Symptomen wird Medizinalcannabis eingesetzt?
Cannabis hat als Medikament ein breites therapeutisches Potenzial und damit viele mögliche Anwendungsbereiche. Das liegt daran, dass die Substanzen ein körpereigenes Signalsystem beeinflussen, das sogenannte Endocannabinoidsystem. Bestandteile dieses Systems finden sich überall im Körper. Die Wirksamkeit von Cannabispräparaten wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen und Beschwerden untersucht – teilweise mit vielversprechenden ersten Ergebnissen. Mögliche Indikationen, die sich aus klinischen Studien zur Wirksamkeit mit mäßiger bis hinreichender Aussagekraft ergeben, sind z. B.:
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chronische Schmerzen (z. B. im Zusammenhang mit Krebs, Rheuma, Multipler Sklerose)
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Spastizität (Krämpfe) bei Multipler Sklerose
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Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen
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seltene Formen der Epilepsie (z. B. Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom)
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Gewichtsverlust und Anorexie bei HIV/AIDS
Weitere potenzielle Indikationen, für die Hinweise aus Studien mit niedriger bis unklarer Aussagekraft vorliegen:
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Psychisch:
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Tourette-Syndrom
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Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
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Schlafstörungen
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Angststörungen
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Depression
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Schizophrene Psychose (CBD)
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Zwangsstörungen (CBD)
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Suchterkrankungen
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Anorexia nervosa (Magersucht)
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Neurodegenerative und neurologische Erkrankungen (Krankheiten des Nervensystems)
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Morbus Alzheimer
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Morbus Parkinson
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Morbus Huntington
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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
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Dystonie
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Tremor
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Restless-Legs-Syndrom
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Entzündliche Darmerkrankungen
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Morbus Crohn
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Colitis ulcerosa
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Palliativtherapie
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Krebserkrankungen
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Glaukom (Grüner Star)
In der Regel wird eine Behandlung mit Cannabis als Begleittherapie („Add-on“), d. h. zusätzlich zu bereits eingenommenen Medikamenten und/oder Therapien, eingesetzt. Es muss für die Verschreibung laut dem Gesetz von 2017 eine „schwerwiegende Erkrankung“ vorliegen und die bewährten Therapieoptionen erfolglos probiert oder nicht verfügbar sein. Der Arzt kann jedoch unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes auch entscheiden, dass eine Behandlungsoption nicht zum Einsatz kommt, obwohl sie verfügbar wäre. So könnten sich Arzt/Ärztin und Patient/Patientin z. B. gegen einen Therapieversuch mit Opioiden entscheiden, weil eine Geschichte von Substanzmissbrauch oder Verdauungsprobleme vorliegen.
Nach einer vom BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) aufgestellten Begleiterhebung (Stand: 6. März 2020) werden Cannabinoide zur Therapie folgender Indikationen/ Beschwerden verwendet:
Erkrankung oder Symptomatik |
Fälle (insgesamt n=8.872) |
Prozentualer Anteil |
Schmerzen |
6.374 |
ca. 72 % |
Krämpfe (Spastik) |
940 |
ca. 11 % |
Gewichtsverlust (Anorexie/Wasting) |
590 |
ca. 7 % |
Übelkeit/Erbrechen |
341 |
ca. 4 % |
Depressionen |
259 |
ca. 3 % |
Migräne |
181 |
ca. 2 % |
entzündliche, nichtinfektiöse Darmkrankheit |
113 |
ca. 1 % |
ADHS |
111 |
ca. 1 % |
Appetitmangel/ Inappetenz |
111 |
ca. 1 % |
Epilepsie |
97 |
ca. 1 % |
Ticstörung, inklusive Tourette-Syndrom |
79 |
< 1 % |
Restless-Legs-Syndrom |
78 |
< 1 % |
Schlafstörung/Insomnie |
74 |
< 1 % |
Hinweis zur Tabelle: Bei 3.177 (36 %) der insgesamt 8.872 Fälle sei die Behandlung mit Cannabis vor Ablauf eines Jahres beendet worden. Bei 557 (ca. 6 %) habe eine MS-Grunderkrankung vorgelegen. Bei 1.683 (ca. 19 %) habe eine Tumorerkrankung bestanden. Quelle: BfArM und Deutsche Apotheker Zeitung 2020
Wann kann Cannabis zu medizinischen Zwecken verordnet werden?
Seit März 2017 kann in Deutschland medizinisches Cannabis von Ärzt:innen jeder Fachrichtung (mit Ausnahme von Zahn- und Tierärzt:innen) verordnet werden.
Damit eine Behandlung mit Cannabis verordnet werden kann, müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein:
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Es liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor
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Die Standardtherapien stehen nicht zur Verfügung oder können so nicht zur Anwendung kommen (z. B. wegen der Nebenwirkungen oder dem aktuellen Krankheitszustand)
-
Der Einsatz von Cannabis ist erfolgversprechend
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Die Verordnung erfolgt durch einen Vertragsarzt
In Deutschland hat es sich durchgesetzt, dass Cannabis gesetzlich nicht nur bei bestimmten Krankheiten verschrieben werden kann. Stattdessen steht die Schwere der Erkrankung im Vordergrund. Die Verantwortung und die Entscheidung, ob eine Therapie mit Medizinalcannabis Erfolg verspricht und sinnvoll ist, liegt damit beim Arzt oder bei der Ärztin. Trotzdem wurden in der Vergangenheit bestimmte Erkrankungen durch höchstrichterliche Rechtsprechung als „schwerwiegend” eingestuft. Dazu gehören:
-
Multiple Sklerose
-
Krebs
-
AIDS
-
Myopathie wegen Myoadenylatdesaminase-Mangels
-
Hirntrauma, resultierend aus Subarachnoidalblutung
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Kardiomyopathie
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Friedreich‘sche Ataxie
-
Ausgeprägtes Restless-Legs-Syndrom
Cannabis auf Rezept: Was sich 2024 geändert hat
Seit der Teillegalisierung von Cannabis am 1. April 2024 hat sich auch der Zugang zu medizinischem Cannabis deutlich vereinfacht. Während Cannabis früher als Betäubungsmittel (BtM) galt und nur unter strengen Auflagen verschrieben werden konnte, ist es nun aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen worden. Das bedeutet: Ärzt:innen können medizinisches Cannabis auf einem normalen Rezept verordnen – ohne BtM-Verschreibung und ohne besondere Genehmigung durch die Behörden.
Trotz dieser Erleichterung gibt es weiterhin klare Regeln: Ein Cannabisrezept wird nur ausgestellt, wenn eine Erkrankung vorliegt, für die Cannabis eine sinnvolle Therapieoption darstellt. Besonders häufig wird es bei chronischen Schmerzen, Multiple Sklerose, ADHS, Epilepsie oder bestimmten psychischen Erkrankungen eingesetzt. Die Entscheidung liegt letztlich bei der behandelnden Ärztin oder dem Arzt.
Durch die neue Telemedizin-Regelung ist der Zugang zu einem Cannabisrezept heute besonders unkompliziert. Online-Sprechstunden ermöglichen eine schnelle Beratung durch spezialisierte Ärzt:innen – oft ohne lange Wartezeiten. Damit ist medizinisches Cannabis für Patient:innen einfacher zugänglich als je zuvor.
Weiterführende Informationen findest du in unserem Beitrag zum Thema Cannabis auf Rezept.
Medizinisches Cannabis auf Rezept: So funkioniert es
Patient:innen haben zwei Möglichkeiten, medizinisches Cannabis auf Rezept zu erhalten – über die Krankenkasse oder als Selbstzahler:
Kassenrezept
Medizinisches Cannabis ist für gesetzlich Versicherte unter gewissen Voraussetzungen erstattungsfähig. Sollen die Kosten von einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden, muss vor der ersten Verordnung eine Genehmigung von der Krankenkasse eingeholt werden. Der Antrag auf Kostenübernahme für Medizinalcannabis wird formal von Patient:innen gestellt. Die Genehmigung hängt unter anderem davon ab, ob eine Erkrankung vorliegt, für die eine Cannabistherapie in Frage kommt. Wird der Antrag bewilligt, übernimmt die Krankenkasse die Kosten für das medizinische Cannabis.
Krankenkassen dürfen eine Übernahme der Kosten nur in begründeten Fällen verweigern. Bei einer Ablehnung können Patient:innen Widerspruch einlegen. Sollte dieser Widerspruch erneut abgelehnt werden, kann eine Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erfolgen.
Privatrezept
Wer die Kosten selbst trägt, kann sich medizinisches Cannabis direkt von einer Ärztin oder einem Arzt verschreiben lassen – ohne vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse. Das Rezept kann anschließend sofort in einer Apotheke eingelöst werden. Diese Option bietet mehr Flexibilität, erfordert aber eine eigenständige Finanzierung der Behandlung.
Unabhängig davon, ob Kassen- oder Privatrezept: Die Verordnung von medizinischem Cannabis erfolgt immer individuell und basiert auf einer ärztlichen Einschätzung.
Quellen
Internetseiten
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Website der staatlichen Cannabisagentur l
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Informationen zu der Begleiterhebung der BfArM
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Krankenkasseninformationen:
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Krankenkassenzentrale
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Techniker Krankenkasse (TK)
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Gesetz „Cannabis als Medizin“ 2017
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Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin
Literatur
1) Informationen zum Endocannabinoidsystem
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Russo, E. B. Introduction to the Endocannabinoid System. (1998).
2) Geschichte des Cannabis
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Hand, A., Blake, A., Kerrigan, P., Samuel, P. & Friedberg, J. History of medical cannabis. Cannabis Med. Asp. 9, 17–26 (2017).
3) Wirkung der Cannabinoide und Indikationen
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Grotenhermen F, Müller-Vahl K. The therapeutic potential of cannabis and cannabinoids. Dtsch Arztebl Int. vol. 109(29-30):495-501 (2012)
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Abrams, D. I. The therapeutic effects of Cannabis and cannabinoids: An update from the National Academies of Sciences, Engineering and Medicine report. Eur. J. Intern. Med. 49, 7–11 (2018).
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Whiting, P. F. et al. Cannabinoids for Medical Use. JAMA 313, 2456 (2015).
4) Darreichungsformen von Cannabis
-
Grotenhermen, F. Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Cannabinoids. Clin. Pharmacokinet. 42, 327–360 (2003).
Beitragsbild: Unsplash.com