Inhalt
Key Facts
Können Sie sich Ihre Chefin oder den Nachbarn von gegenüber beim Rauchen eines Joints vorstellen? Eher nicht? Dabei ist das, rein statistisch gesehen, gar nicht unwahrscheinlich. Mehr als jede:r vierte Deutsche hat sich schon einmal eine Cannabiszigarette genehmigt oder zumindest daran gezogen. Eine Befragung für den Epidemiologischen Suchtsurvey 2018 ergab, dass 3,7 Millionen Bundesbürger:innen in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert hatten.
Nach wie vor ist Cannabis mit Abstand die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Und nachdem andere Länder vorgelegt haben, wurden zuletzt auch in Deutschland die Stimmen nach einer Legalisierung von Cannabis wieder lauter. Nachdem seit 2017 schon medizinisches Cannabis verordnungsfähig war, beschloss die Ampel Ende 2021, Cannabis auch zu Genusszwecken zu regulieren.
Was die Cannabis Legalisierung konkret bedeuten könnte und was bisher darüber bekannt ist, erfahren Sie hier.
Die gute Nachricht zuerst: Der regelmäßige Alkoholkonsum unter Jugendlichen ist in den letzten Jahrzehnten insgesamt deutlich zurückgegangen. Die Zahl der Jugendlichen, die Tabak rauchen, ist sogar so niedrig wie noch nie seit Beginn der Befragungen in den 1970ern.
Allerdings scheint das Verbot von Cannabis sie nicht an dessen Konsum zu hindern – sie konsumieren es heute sogar häufiger und fangen früher damit an. Im Jahr 2018 hatte jede:r zehnte 12- bis 17-jährige Jugendliche schon einmal Cannabis konsumiert. Bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren waren es vier von zehn.
Zunächst muss man zwischen der Einnahme von medizinischem Cannabis und dem Konsum zu Genusszwecken unterscheiden. Erstere ist in Deutschland seit 2017 unter bestimmten Voraussetzungen legal – aber dazu später mehr. Was den Freizeitkonsum angeht, ist das Ganze schon ein wenig komplizierter:
Der Konsum von Cannabis ist in Deutschland zwar grundsätzlich nicht verboten. Allerdings dürfen Sie es weder besitzen noch erwerben – geschweige denn veräußern oder anbauen. Faktisch kommt das einem Cannabisverbot gleich.
Wird man mit Cannabis erwischt, kann das Strafverfahren eingestellt werden. Dafür muss die Menge im Rahmen des Eigenbedarfs liegen. Dabei kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen: Während in Bayern sechs Gramm als Eigenbedarf gelten, liegt die Grenze in Berlin bei 15 Gramm. Außerdem gibt es weitere Voraussetzungen. So dürfen etwa keine Vorstrafen vorliegen.
Auch bei Erfüllung aller Bedingungen liegt die Betonung dennoch auf „kann“: Es handelt sich immer noch um einen Gesetzesverstoß. Ob das Strafverfahren eingestellt wird, entscheidet am Ende die Staatsanwaltschaft.
2015 brachten die Grünen mit dem Cannabiskontrollgesetz einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis ein. Er sollte darüber hinaus auch Vorschläge zur Prävention enthalten. Nachdem sie diesen mehrfach vorgelegt hatten, scheiterte er 2020 endgültig im Gesundheitsausschuss.
In Portugal wurde der Besitz und Konsum von hierzulande illegalen Drogen wie Cannabis 2001 entkriminalisiert. Wer dort mit einigen Gramm Cannabis erwischt wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit – und kann anstatt mit einer Strafverfolgung mit Unterstützung von Ärzten und Psychologen rechnen. Dies gilt bis zu einer Menge von zehn Tagesrationen, also 25 Gramm Cannabis. Ab da gilt man als Dealer und wird strafrechtlich belangt.
In den USA haben zuletzt immer mehr Staaten bei der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene nachgezogen. Auch Kanada und Uruguay fahren eine liberale Drogenpolitik und erlauben den Konsum von Cannabis zu Genusszwecken.
International tut sich ebenfalls einiges: 2020 folgten die Vereinten Nationen der Empfehlung der WHO und entfernten Cannabis und Haschisch von der Liste der gefährlichsten Drogen.
Das Argument der Einstiegsdroge gilt aus Sicht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen als nicht haltbar. Heißt im Klartext: Ja, viele Konsumenten härterer Drogen haben schon einmal einen Joint geraucht – aber in der Regel haben sie auch Tabak und Alkohol konsumiert.
Cannabis sollte nicht bedenkenlos konsumiert werden. Das ist auch Befürwortern der Legalisierung in der Regel bewusst.
Ein Grund dafür: Die exakte Wirkung ist nicht genau planbar. Auch wenn diese maßgeblich von der genauen Zusammensetzung und Dosis des Cannabis abhängt, kann man den Effekt im Vorfeld mitunter schwer abschätzen. Das gilt besonders für unerfahrene Benutzer und bei höheren Dosen. Unter Umständen können Ängste aufkommen oder sich Paranoia entwickeln.
Gerade der Konsum von Cannabis mit einem hohen THC-Anteil kann dazu beitragen, dass psychotische Symptome auftreten. Dass der Konsum auch ursächlich für eine Schizophrenie verantwortlich gemacht werden kann, konnte jedoch nicht belegt werden. Man geht davon aus, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung für die Erkrankung anfällig ist und Cannabis den Ausbruch beschleunigen kann.
Außer Frage steht: Wer ohne Cannabis nicht mehr zurechtkommt, hat ein Problem – denn langfristig kann es körperlich und psychisch abhängig machen. Während die körperlichen Entzugssymptome im Vergleich zu Alkohol eher mild ausfallen, ist die psychische Cannabis Abhängigkeit mitunter stark ausgeprägt. Ein Rückzug bis hin zur sozialen Isolation kann die Folge sein.
Es gibt Hinweise, dass ein sehr starker Konsum von Cannabis von Jugendlichen die Entwicklung des Gehirns beeinflussen kann.
Die Aussage, dass der Konsum im Zusammenhang mit einem niedrigeren Bildungserfolg stehen soll, ist umstritten. Da die betroffenen Jugendlichen etwa auch mehr Alkohol konsumierten und deren soziales Umfeld eine große Rolle spiele, könne ein Effekt von Cannabis nicht festgemacht werden.
Durch neue Züchtungen werden in den vergangenen Jahren sowohl bei Cannabis als auch bei Haschisch immer wieder neue Rekordwerte an THC festgestellt. Die Substanzen weisen heute im Schnitt doppelt so viel THC auf wie noch vor zehn Jahren. Welche Auswirkungen die erhöhte Potenz langfristig auf Konsument:innen hat, ist noch nicht hinreichend erforscht.
Die Entwicklung könnte, gerade in Verbindung mit zum Teil sinkenden Gehalten an CBD, fatal sein: Man geht davon aus, dass mit hohem THC-Gehalt das Risiko für substanzinduzierte Psychosen steigt. Gleichzeitig steht CBD im Verdacht, antipsychotisch zu wirken und die Wirkung von THC modulieren zu können. Die in der Cannabisblüte selbst enthaltene Möglichkeit, die Wirkung von THC durch CBD günstig zu beeinflussen, wurde auf dem Schwarzmarkt mehr oder weniger weggezüchtet.
Cannabis kann gestreckt werden oder anderweitigen Verunreinigungen ausgesetzt sein. Dies kann unmittelbar ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko darstellen als die Cannabinoide selbst.
Ein Beispiel ist etwa die Beimischung von Blei, die zwar eher selten ist, aber gravierende Folgen haben kann. So kam es 2007 im Raum Leipzig nach dem Konsum von verunreinigtem Cannabis zu einigen hundert Bleivergiftungen. Auch Talk oder Brix, ein synthetisches Streckmittel, werden mitunter verwendet.
Ziel ist stets, dass die Blüten schwerer werden oder besser riechen. Oft sind die Verunreinigungen für den Verbraucher ohne Weiteres nicht zu erkennen.
Mitunter wird Cannabis auch gepanscht. Dabei werden Blüten mit wenig THC mit synthetischen Cannabinoiden versetzt, die um ein vielfaches potenter sein können als ihre natürlichen Gegenparts.
Auch wenn es oft heißt, dass vorwiegend die Dealer belangt werden sollen, wurde in Deutschland 2019 im Schnitt alle drei Minuten ein Strafverfahren gegen Konsumenten eröffnet. Damit richteten sich ganze 83 Prozent aller Cannabisverfahren gegen sie.
Maßnahmen, die einen spürbaren Effekt auf den Cannabiskonsum haben – sollte man meinen. Der Vergleich mit Ländern wie Portugal oder den USA spricht jedoch eine andere Sprache. Ein Bericht des Bundestags untersuchte verschiedene Modelle und kam zu folgendem Schluss:
Die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik hat „wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten“.
Befürworter der Legalisierung von Gras argumentieren, man könne so Polizei und Justiz entlasten. Das schaffe Geld und Zeit, die man etwa in die Prävention investieren könnte. Ähnlich wie bei Alkohol und Tabak könnte der Staat zudem von den Steuern auf Cannabis profitieren und die Einnahmen ebenfalls an anderer Stelle einsetzen.
Laut einer Studie im Auftrag des Deutschen Hanfverbands könnte die Legalisierung von Cannabis durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen rund 2,66 Mrd. Euro jährlich in die staatlichen Kassen spülen.
Durch eine Legalisierung könnte der Konsum – der ja ohnehin stattfindet – sichtbar gemacht werden. Befürworter versprechen sich davon theoretisch mehr Sicherheit und Schutz für Verbraucher sowie eine Eindämmung des Schwarzmarkts.
Demnach könnte etwa die Abgabe an Minderjährige besser verhindert werden. Auch die Qualität und Konzentration des im Umlauf befindlichen Cannabis könnte kontrolliert werden, um Konsumenten vor verunreinigten Substanzen zu schützen.
Cannabis in Deutschland – und das ganz legal? In bestimmten medizinischen Fällen ist das seit 2017 schon möglich. Eingesetzt wird medizinisches Cannabis zum Beispiel bei chronischen Schmerzen oder bei Multipler Sklerose, aber etwa auch in der Palliativmedizin. Grundsätzlich dürfen alle Haus- und Fachärzte Medizinalcannabis verschreiben, eine Ausnahme bilden Tier- und Zahnärzte.
Unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen die Krankenkassen die Kosten. Alternativ kann die Verordnung des medizinischen Cannabis auf Privatrezept für Selbstzahler erfolgen. Sprich, man lässt es sich, ähnlich wie bei einer IGeL-Leistung, auf ein Privatrezept verordnen.
Fünf Jahre lang soll parallel eine Begleitstudie zu der Anwendung von medizinischem Cannabis durchgeführt werden. Durch die Erhebung verspricht man sich weitere Erkenntnisse zu dem Thema. Die Erkenntnisse könnten womöglich auch für den künftigen Umgang mit Cannabis zu Genusszwecken interessant sein.
Bei Cannabis im Straßenverkehr macht der Gesetzgeber einen Unterschied zwischen dem illegalen Konsum und der Einnahme von medizinischem Cannabis. Bei letzterem gilt laut § 24a Absatz 2 StVG das sogenannte „Medikamentenprivileg“. Sofern es sich bei dem konsumierten Betäubungsmittel um ein verordnetes Arzneimittel handelt, gilt man demnach nicht automatisch als fahruntüchtig. Entscheidend ist, dass Fahrer:innen das Fahrzeug sicher führen können. Ob das der Fall ist, müssen diese vor jeder Fahrt genau abwägen.
In der Praxis hat sich ein sogenannter Cannabisausweis bewährt. Dieser ist zwar nicht rechtlich bindend und verfügt über kein standardisiertes Format, da es sich um kein offizielles Dokument handelt. Allerdings können behandelnde Ärzte darin mit Stempel und Unterschrift bescheinigen, dass für die Person eine ärztliche Verordnung für Medizinalcannabis vorliegt. Daher wird empfohlen, den Cannabisausweis sowie eine Kopie des aktuellen Betäubungsmittelrezepts mit sich zu führen.
Während Cannabis in Deutschland als solches (noch) verboten ist, wurde medizinisches Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen 2017 legalisiert. Ganz ohne Rezept sind außerdem einige Produkte frei im Handel erhältlich, die CBD enthalten – CBD-Öle etwa.
Die Frage, ob Cannabis an sich legal sein sollte, spaltet nach wie vor die Gemüter. Was es mittelfristig braucht, sind daher weitere Studien zu Wirkungen und Gefahren von Cannabis sowie den möglichen Auswirkungen einer Legalisierung. Die Begleitstudie zu medizinischem Cannabis in Deutschland kann möglicherweise einen Teil dazu beitragen.
Gleichzeitig dürfen die Risiken des Cannabiskonsums in keinem Fall unterschätzt werden. Kritiker des Verbots klagen an, dass durch die „Verteufelung“ auch begründete Zweifel nicht mehr ernst genommen würden. Eine Entkriminalisierung könnte ein gesunder Mittelweg sein, bei dem positive wie negative Aspekte des Konsums in einer unaufgeregten und faktenbasierten Weise diskutiert werden können.
So zerstritten die Lager auch sein mögen: Viele Kritiker und Gegner einer Legalisierung von Cannabis sind sich einig, dass negative gesundheitliche, soziale und ökonomische Konsequenzen des Konsums reduziert, sowie Abhängigkeiten mittels Prävention verhindert werden müssen und dass es effektive Maßnahmen zum Schutz der Jugend braucht. In erster Linie unterscheiden sie sich lediglich in der Frage, welcher Weg dahin führen soll.
Bei einer Freigabe von Cannabis in Deutschland könnte die Abgabe etwa in Fachgeschäften und/oder erfolgen, zu denen nur Erwachsene Zutritt haben. Aufklärungsgespräche könnten Pflicht werden, der Schwarzmarkt würde eingedämmt und es gäbe mehr Klarheit über Wirkstoffe und deren Konzentration. Die Konsumenten würden entstigmatisiert und könnten besseren und frühzeitigen Zugang zu Präventionsmaßnahmen erhalten.
Eines steht in jedem Fall fest: Konsumiert wird so oder so.
Dass mit der Legalisierung von Cannabis Deutschland tatsächlich ernst macht, gab Ende 2021 die noch frisch gebildete Ampel Koalition bekannt. Im Koalitionsvertrag legte sie eine kontrollierte und regulierte Abgabe an Erwachsene fest.
Über ein paar Sätze im Koalitionsvertrag hinaus weiß man derzeit aber nur wenig über die Pläne der Ampel Regierung. Nach aktuellem Stand bleiben also einige Fragen offen. Fest steht lediglich, dass künftig die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften erfolgen soll. Unter anderem sollen sich Apotheken um eine Cannabis-Verkaufslizenz bewerben dürfen. Ampel Regierung mit Burkhard Blienert als Drogenbeauftragtem sieht sich dabei unter anderem vor die Herausforderung gestellt, eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, die auch vor europäischem und internationalem Recht, also etwa auch vor dem EuGH Bestand hätte.
Wann Cannabis legal wird, ist damit noch unklar. Für weitere Informationen über medizinisches Cannabis schauen Sie gerne in unserer Cannabis Apotheke vorbei.
Quellen:Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey 2018 vom Institut für Therapieforschung
Ärzteblatt: Bleiintoxikationen durch gestrecktes Marihuana in Leipzig
Sachstand des Deutschen Bundestags: Legalisierung von Cannabis. Auswirkungen auf die Zahl der Konsumenten in ausgewählten Ländern
Wiederholte Querschnittsstudie: Increasing potency and price of cannabis in Europe, 2006-16 (Freeman, Groshkova et al., 2019)
Info-Material der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen: Cannabis Basisinformationen
BzgA Forschungsbericht: Der Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland
BzgA Forschungsbericht: Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019
Pressemitteilung der Europäischen Kommission: EU-Drogenbericht 2020: Rekordmengen an Kokain und Heroin beschlagnahmt
Pressemitteilung des Deutschen Bundestags: Cannabispatienten dürfen Auto fahren
Beitragsbild: Unsplash.com