Das Endocannabinoidsystem: Was es ist – und was es kann

Endocannabinoide in der Muttermilch? Keine Sorge, das hat nichts mit Cannabis zu tun, sondern ist ein normaler körperlicher Vorgang.

Inhalt

Key Facts

  1. Alle Menschen (und nahezu alle Tiere) verfügen über ein Endocannabinoidsystem.
  2. Der Körper kann nicht nur Cannabinoide aus Pflanzen verarbeiten, sondern auch eigene Cannabinoide herstellen.
  3. Das Endocannabinoidsystem ist an der Regulierung zahlreicher Körperfunktionen beteiligt.

Wer Cannabinoid sagt, muss auch Cannabis sagen? Nicht unbedingt. Wir alle kommen schon mit einem Endocannabinoidsystem auf die Welt und produzieren körpereigene Cannabinoide nicht nur selbst, sondern nehmen sie sogar mit der Muttermilch auf. Auch wenn es tatsächlich die Cannabis-Pflanze war, die bei der Entdeckung 1992 als Namensgeber diente: Die Forschungen der letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass die Bedeutung des Endocannabinoidsystems weit über sie hinausgeht. Neben seiner Funktionsweise interessiert die Wissenschaftler eine Frage besonders: Wie kann man das Endocannabinoidsystem beeinflussen?

Wie ein Endocannabinoid die Forschung ins Rollen brachte 

Erstmals nachgewiesen wurde ein Endocannabinoid, also ein körpereigenes Cannabinoid, 1992 vom Team um Raphael Mechoulam. Der israelische Forscher gilt als Pionier der Cannabisforschung, da er 1963 bereits die exakte Molekülstruktur von CBD erforscht und ein Jahr später erstmals reines THC isoliert hatte. Mit der Entdeckung des Endocannabinoidsystems setzte ein regelrechter Forschungsboom ein, der sowohl zum System an sich als auch zur Wirkung von Cannabis erhebliche Erkenntnisse brachte.

Heute geht man davon aus, dass das Endocannabinoidsystem unter anderem an der Regulierung und Feinsteuerung folgender Bereiche beteiligt ist:

  • Lernen und Gedächtnis
  • emotionale Verarbeitung
  • Schlaf
  • Regulierung der Körpertemperatur
  • Schmerzkontrolle
  • Entzündungs- und Immunreaktionen 
  • Verdauung und Appetit

Endocannabinoide als Schlüssel ...

Von THC und CBD haben wohl die meisten schon einmal gehört. Bei ihnen handelt es sich um die wichtigsten Phytocannabinoide, also pflanzlichen Cannabinoide. Schon deutlich weniger bekannt sind da die Namen zweier bedeutender Endocannabinoide: AEA und 2-AG. 

AEA wurde 1992 als erstes Endocannabinoid entdeckt, ist aber unabhängig davon einen besonderen Blick wert. Statt unter dem wenig griffigen Namen AEA ist es auch als Anandamid bekannt, was sich wiederum von einem Wort aus dem Sanskrit ableitet: „Ananda“ bedeutet so viel wie Freude oder reines Glück. Tatsächlich ist Anandamid wohl für euphorische Zustände wie das Runner’s High mitverantwortlich (dazu später mehr) – und wird dabei wohlgemerkt vom Körper selbst hergestellt. 

Endocannabinoide – körpereigene Cannabinoide

Phytocannabinoide – Cannabinoide aus Pflanzen

… und Endocannabinoid-Rezeptoren als Schloss

Nun sind Cannabinoide die eine Sache. Um etwas zu bewirken, benötigen sie jedoch ein Gegenüber, das ihre Signale versteht und verarbeitet, also quasi ihre Sprache spricht. Genau diese Aufgabe übernehmen Endocannabinoid-Rezeptoren, die überall im Körper verteilt sind. Nach allem was man heute weiß, spielen hier die speziellen Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 sowie eine ganze Reihe weiterer Rezeptoren eine entscheidende Rolle.

CB1-Rezeptoren, sind auf die Verarbeitung von THC spezialisiert und die Aktivierung dieser Rezeptoren wirkt vor allem auf das Gehirn. Sie spielen etwa bei der Kognition und für das Belohnungssystem eine Rolle und sind für viele typische Effekte von medizinischem Cannabis verantwortlich. Werden hingegen CB2-Rezeptoren aktiviert, hat das vor allem Auswirkungen auf physiologische Prozesse und das Immunsystem.

Warum das Endocannabinoidsystem ein geschlossener Kreislauf ist

Doch das ist noch nicht alles. Denn das Endocannabinoidsystem ist ein präziser, in sich geschlossener Kreislauf. Dabei werden Endocannabinoide von einem gesunden Körper genau in der Menge hergestellt, in der sie benötigt werden – und zwar genau dort im Organismus, wo sie auch zum Einsatz kommen. Spezielle Enzyme sind hier für die Bildung der Endocannabinoide zuständig. Und haben die Endocannabinoide ihre Aufgabe erfüllt, werden sie von anderen Enzymen gleich wieder abbaut.

Wie können wir das Endocannabinoidsystem beeinflussen?

Schaut man sich die vielen Bereiche an, die auch von Cannabinoiden gesteuert oder reguliert werden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Mittel und Wege erforscht werden, um das Endocannabinoidsystem zu beeinflussen. Denn das könnte nicht nur einen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden haben, sondern hat auch noch weitere medizinische Implikationen. Daher wurde und wird intensiv an Möglichkeiten zur Modulation des Endocannabinoidsystems geforscht. 

Ein naheliegender Weg sind Phytocannabinoide, die über das körpereigene Cannabinoidsystem an die Cannabinoid-Rezeptoren im Körper andocken können. 

Grundsätzlich ist Cannabis dabei nicht die einzige Pflanze, deren Bestandteile an das Endocannabinoidsystem andocken können. So enthält etwa der Sonnenhut (lateinisch Echinacea) cannabinoidähnliche Stoffe, die an CB2-Rezeptoren binden können. Traditionell wurde er schon lange bei Wunden und Verbrennungen verwendet.

Fest steht jedoch: Cannabis verfügt unter allen Pflanzen über die umfassendste Sammlung an Cannabinoiden.

Das Endocannabinoidsystem und Sport

Und wie war das jetzt mit der Euphorie und dem Runner’s High? Nach intensiver körperlicher Aktivität wurde eine signifikant erhöhte Konzentration des Endocannabinoids Anandamid festgestellt. Man geht daher davon aus, dass es entscheidend an der Entstehung des Runner’s High beteiligt sein könnte und uns über unser Belohnungssystem womöglich zu Bewegung motiviert.

In einer im Journal of Experimental Biology veröffentlichten Studie hatten die Wissenschaftler die Level des Endocannabinoids Anandamid jeweils vor und nach dem Training untersucht. Das Interessante: Der Anstieg der Anandamid-Konzentration konnte nur nach Sessions mit hoher Intensität festgestellt werden. Bei geringer Intensität ging sie direkt nach dem Training sogar zurück.

Welche Rolle das Endocannabinoidsystem in Zukunft spielen könnte

Mit seinen zahlreichen Funktionen bleibt das Endocannabinoidsystem komplex – aber eben darum bietet es auch so viele Möglichkeiten.

Besonders interessant dürfte die weitere Erforschung des Endocannabinoidsystems im Sinne ganzheitlicher Behandlungen sein. So weiß man schon heute, dass man dieses etwa durch Sport beeinflussen kann, und es stellt sich die Frage, welche weiteren Wege es geben könnte. 

In jedem Fall bieten die pflanzlichen Cannabinoide aus der Cannabispflanze einiges medizinisches Potenzial, wie es etwa bei Cannabis gegen Schmerzen der Fall ist. In Deutschland können Ärzte Cannabis als Medizin verschreiben. Verschiedene Darreichungsformen sind hier möglich: vom Vollspektrum-Cannabisextrakt bis hin zu den Blüten medizinischer Cannabissorten. Aber wie kann man Cannabis auf Rezept einlösen und wo? In der Cannabis Apotheke können Patienten dann das Cannabis Rezept einlösen.

Wir sind uns auf jeden Fall sicher, dass wir in der Zukunft noch einiges vom Endocannabinoidsystem hören werden, und dürfen gespannt sein, welche Erkenntnisse zu dessen Funktionsweise die Forschung noch ans Licht bringt. Vielleicht bring ja auch die gerade beschlossene Legalisierung von Cannabis wieder neuen Wind (und neues Geld?) in die Forschungslandschaft ...

Quellen:

The endocannabinoid-CB(1) receptor system in pre- and postnatal life (Fride, 2004)

Wired to run: exercise-induced endocannabinoid signaling in humans and cursorial mammals with implications for the ‘runner’s high’ (Raichlen, Foster et al., 2012)

​​Physical activity and the endocannabinoid system: an overview (Tantimonaco, Ceci et al., 2014)

The endocannabinoid system: Essential and mysterious (Grinspoon, 2021)

New approaches and challenges to targeting the endocannabinoid system (Di Marzo, 2018)

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