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Microseeds – winzige, samenähnliche Strukturen im Cannabis – sorgen seit einiger Zeit für Diskussionen. Was hinter diesen „Mini-Samen“ steckt, ob sie gesundheitliche Risiken bergen und warum sie vor allem bei modernen Züchtungen auftreten, erfahren Sie hier.
Key Facts
- Noch wenig erforscht: Microseeds sind kleine, samenähnliche Strukturen in Cannabisblüten. Ihre genaue Entstehung und Funktion sind bislang wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt.
- Genetische Ursache wahrscheinlich: Vermutet wird, dass sie durch genetische Instabilität moderner Züchtungen entstehen – etwa wenn neue Sorten nicht ausreichend stabilisiert wurden.
- Kein Nachweis für Gesundheitsrisiken: Konkrete Gefahren durch Microseeds sind wissenschaftlich bisher nicht belegt. Viele Warnungen beziehen sich auf andere Zusammenhänge.
- Hauptgefahr beim Rauchen: Die größten Risiken entstehen durch die Verbrennung und die dabei freigesetzten Schadstoffe – nicht durch die Microseeds selbst.
- Vaporisieren als sichere Option: Das Verdampfen von Medizinalcannabis gilt generell als risikoärmere Alternative, auch wenn zu Microseeds bislang keine spezifischen Daten vorliegen.
Was versteht man unter Cannabis-Microseeds?
Schon bei der Definition herrscht Uneinigkeit. Unter Microseeds (auch Embryo-Samen genannt) versteht man winzige, samenähnliche Strukturen in Cannabisblüten. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich von voll entwickelten Samen – in Größe, Form, Farbe und Härte. Oft wirken sie unförmig oder deformiert, ihre tatsächliche Funktion ist bislang unklar.
Auch die Ursachen für ihr Auftreten im medizinischen Cannabis sind bisher nicht eindeutig geklärt. Diskutiert werden verschiedene Erklärungsansätze:
Unvollständig entwickelte Samen nach Bestäubung
Eine naheliegende Erklärung ist die Entstehung durch eine (Selbst-)Bestäubung – entweder durch männliche Pflanzen oder zwittrige Blüten. Dabei könnte es zu einer unvollständigen Samenbildung kommen. Gegen diese Theorie spricht allerdings, dass in professionellen Anbaubetrieben strenge Kontrollen üblich sind und Microseeds vergleichsweise häufig auftreten. Wären Bestäubungen die Ursache, sollten die Samen zum Zeitpunkt der Ernte in der Regel voll ausgereift oder zumindest klar erkennbar sein – was bei Microseeds nicht der Fall ist.
Samenbildung durch Apomixis
Als weiterer Erklärungsansatz gilt die sogenannte Apomixis – eine Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, bei der Samen ohne vorherige Befruchtung entstehen. Die daraus hervorgehenden Nachkommen sind genetisch identisch mit der Mutterpflanze.(1)
Vermutet wird, dass es sich dabei um eine Art „Notfallstrategie“ der Pflanze handelt, die aktiviert wird, wenn keine Befruchtung stattfindet. Unter normalen Bedingungen sollten auf diesem Weg eigentlich voll entwickelte Samen entstehen. Denkbar ist jedoch, dass genetische Besonderheiten – beispielsweise in bestimmten Zuchtlinien – dazu führen, dass diese Samen unvollständig ausgebildet bleiben und in Form von Microseeds auftreten.
Übermäßig ausgeprägte Ovuli
Bei einigen Cannabissorten scheint die Samenanlage (Ovulum) von Natur aus stärker ausgeprägt zu sein. Während der Blütephase kann es zu einer sichtbaren Anschwellung dieser Strukturen kommen, die reifen Samenanlagen ähneln. Typisch ist dabei eine Farbveränderung: Zunächst grünlich, später zunehmend grau oder schwarz – begleitet von einem allmählichen Schrumpfen.
Ob ein Zusammenhang mit der Feminisierung von Pflanzen besteht, ist bislang wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt.(2,3) Klar ist jedoch: Übermäßig entwickelte Ovuli sind ein weiteres mögliches Erklärungsmodell für die Entstehung von Microseeds.
Ursachen für die Entstehung von Microseeds im medizinischen Cannabis
Bislang ist weder die genaue Bedeutung des Begriffs „Microseeds“ noch ihre biologische Einordnung vollständig geklärt. Unklar bleibt auch, ob es sich um ein einheitliches Phänomen handelt oder ob verschiedene, samenähnliche Strukturen unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Auch die Ursachen sind noch nicht abschließend erforscht – aktuell stehen jedoch vor allem zwei Erklärungsansätze im Mittelpunkt der Diskussion.
Stressfaktor Anbaubedingungen?
Eine der diskutierten Hypothesen führt das Auftreten von Microseeds auf Stressreaktionen während des Anbaus zurück. Werden weibliche Cannabispflanzen bestimmten Umweltbelastungen ausgesetzt, können sie zweigeschlechtliche Blüten entwickeln – ein biologischer Mechanismus, der eine Selbstbestäubung ermöglichen soll.(4)
Auch Formen ungeschlechtlicher Fortpflanzung (Apomixis) werden in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen.(3) Beide Prozesse könnten theoretisch dazu führen, dass sich bis zur Ernte kleine Samenstrukturen in den Blüten bilden.
Mittlerweile gilt diese Erklärung allerdings nicht mehr als die wahrscheinlichste. Denn Microseeds treten unabhängig von Sorte, Herkunftsland, Anbausystem oder technischer Methode auf. Zudem sind durch Stressreaktionen entstehende Samen in der Regel voll ausgebildet und lassen sich deutlich von den typischen „Mini-Strukturen“ unterscheiden.
Ganz ausschließen lässt sich jedoch nicht, dass industrielle Anbaubedingungen – etwa Monokulturen oder stark standardisierte Verfahren – das Phänomen begünstigen.
Genetik und Züchtung – wenn Geschwindigkeit ihren Preis hat
Ein weiterer, derzeit als besonders plausibel geltender Erklärungsansatz richtet den Blick auf die genetische Grundlage der Pflanzen – und damit auf die modernen Züchtungsverfahren.
Traditionell benötigt die Entwicklung einer stabilen Sorte etwa ein Jahrzehnt. In dieser Zeit durchlaufen die Pflanzen zahlreiche Generationen und Selektionszyklen. Nur so lassen sich die Anforderungen des Sortenschutzgesetzes erfüllen, das Einheitlichkeit, Stabilität und klare Unterscheidbarkeit fordert.
In der heutigen Praxis dominieren jedoch beschleunigte Verfahren: Schnellzüchtungen, Kreuzungen mit Fokus auf hohe THC-Gehalte, der verbreitete Einsatz feminisierten Saatguts und die asexuelle Vermehrung über Stecklinge gehören zum Standard.(5) Verstärkt wird dieser Trend durch die enorme Marktnachfrage nach immer neuen Hybriden. Das Ergebnis: Häufig bleibt die notwendige genetische Stabilisierung auf der Strecke.
Die Konsequenz kann sein, dass unerwünschte Merkmale – sogenannte „Traits“ – wie die Bildung von Microseeds häufiger auftreten und sich in bestimmten Sorten sogar festsetzen.
Ob einzelne Faktoren oder das Zusammenspiel verschiedener Zuchtmethoden letztlich ausschlaggebend sind, ist bislang nicht abschließend geklärt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass hier ein wesentlicher Ursprung des Phänomens liegt.
Spielen Gene die entscheidende Rolle bei Microseeds?
Fasst man die bisherigen Erkenntnisse zusammen, zeigen sich Microseeds als kleine, samenähnliche Strukturen, die unabhängig von Sorte, Herkunft oder Anbausystem auftreten können. Am plausibelsten erscheint derzeit eine Kombination aus genetischer Instabilität durch moderne Züchtungsverfahren und verkürzte Selektionsphasen.
Wie in der Pflanzenzüchtung häufig zu beobachten, geht ein Zugewinn an Geschwindigkeit nicht selten mit einem Verlust an Stabilität einher.
Mögliche Gesundheitsrisiken beim Konsum von Cannabisblüten mit Microseeds
In Erfahrungsberichten, Foren und Blogs wird häufig davor gewarnt, Cannabisblüten mit sogenannten Microseeds zu rauchen. Der Rauch wird dabei oft als kratzig, unangenehm und „verbrannt“ beschrieben; manche Konsumierende berichten zudem von Kopfschmerzen oder Übelkeit.
Als mögliche Ursache wird ein erhöhter Gehalt an Pflanzenölen in den Microseeds diskutiert. Die Befürchtung: Beim Erhitzen könnten daraus potenziell toxische oder sogar krebserregende Verbindungen entstehen.
Viele dieser Warnungen basieren jedoch auf Aussagen aus anderen Kontexten – etwa aus der Zubereitung von Hanfbutter oder dem Inhalieren konzentrierter Cannabisöle. In solchen Fällen werden deutlich größere Mengen an Pflanzenölen verarbeitet oder inhaliert als beim Rauchen ganzer Blüten. Eine direkte Übertragung auf Microseeds ist daher wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.
Zudem ist bislang unklar, welche Inhaltsstoffe Microseeds tatsächlich enthalten, in welchen Konzentrationen sie vorkommen und ob sie beim Erhitzen überhaupt gesundheitsgefährdende Stoffe freisetzen.
Die Debatte um Blausäure
Im Zusammenhang mit Microseeds wird gelegentlich die Befürchtung geäußert, beim Verbrennen könnten Stoffe entstehen, die in Blausäure umgewandelt werden. Für diese Annahme gibt es bislang keinerlei wissenschaftliche Grundlage.
Die Hypothese stützt sich offenbar auf Parallelen zu anderen Pflanzenölen – etwa aus Leinsamen, die geringe, in der Regel unbedenkliche Mengen an Blausäure enthalten können (6). Eine Übertragung dieser Beobachtungen auf Hanfsamen oder gar Microseeds bleibt jedoch rein spekulativ.
Unabhängig von Microseeds: Gesundheitsrisiken des Rauchens
Abgesehen von der Frage nach Microseeds gilt als gesichert: Das Inhalieren verbrannter Pflanzenstoffe – ob Tabak oder Cannabis – setzt eine Vielzahl potenziell gesundheitsschädlicher Substanzen frei.
Beim Verbrennen entstehen nicht nur Cannabinoide, sondern auch zahlreiche pyrolytische Nebenprodukte, darunter karzinogene, mutagene und teratogene Stoffe. In einer Untersuchung konnten insgesamt 69 toxische Verbindungen identifiziert werden, die sowohl in Tabak- als auch in Cannabisrauch nachweisbar sind (7,8).
Dennoch ist die langfristige Wirkung des alleinigen Cannabiskonsums auf die Lunge bislang nicht eindeutig geklärt. Ein wesentlicher Grund: Viele Studien unterscheiden nicht ausreichend zwischen Tabak- und Cannabiskonsum, sodass klare Aussagen schwierig bleiben (9). Zwar überschneiden sich die toxischen Inhaltsstoffe beider Raucharten, doch scheinen die gesundheitlichen Folgen nicht identisch zu sein (10).
So gilt das Auftreten einer chronischen Bronchitis infolge regelmäßigen Cannabiskonsums inzwischen als wahrscheinlich, während ein direkter Zusammenhang mit COPD bislang nicht eindeutig belegt ist. Auch asthmatische Beschwerden, Pneumonien, Emphyseme oder ein mögliches erhöhtes Lungenkrebsrisiko werden diskutiert – ohne dass die aktuelle Datenlage eine klare Bestätigung liefert (11). Einzelne Fallberichte erwähnen zudem das Auftreten von Pneumothorax, Pneumomediastinum oder bullösen Lungenerkrankungen, doch auch hier fehlen belastbare Beweise (12).
Vaporisation als potenziell risikoärmere Alternative
Vor dem Hintergrund offener Fragen und bestehender Risiken hat sich die Vaporisation von Medizinalcannabis in den vergangenen Jahren zunehmend etabliert – vor allem im medizinischen Bereich.
Dabei wird das Pflanzenmaterial auf Temperaturen zwischen 180 und 210 °C erhitzt. Flüchtige Bestandteile wie Cannabinoide und Terpene gehen in Dampf über, ohne dass ein Verbrennungsprozess stattfindet. Auf diese Weise entsteht kein Rauch, wodurch die Belastung mit schädlichen Verbrennungsprodukten deutlich reduziert werden dürfte (13). In Deutschland gilt die Anwendung zugelassener medizinischer Vaporisatoren mittlerweile als Standard, sofern eine inhalative Therapieform vorgesehen ist.
Zu beachten ist jedoch: Spezifische Untersuchungen zum Vaporisieren von Cannabisblüten, die Microseeds enthalten, liegen bislang nicht vor. Gleiches gilt für die gesundheitlichen Folgen des Rauchens solcher Blüten. Die derzeitige Datenlage erlaubt daher keine eindeutigen Aussagen.
Was wir noch nicht wissen
Unbestritten ist: Das Rauchen von Cannabis setzt – ähnlich wie Tabak – gesundheitlich bedenkliche Substanzen frei. Ob das Vorkommen von Microseeds diese Risiken zusätzlich verstärkt, ist nach aktuellem Stand jedoch nicht belegt.
Bislang fehlen wissenschaftlich belastbare Daten sowohl zum Rauchen als auch zur Vaporisation von Blüten mit Microseeds. Viele der kursierenden Warnungen basieren auf allgemeinen Annahmen oder werden aus anderen Kontexten abgeleitet, ohne dass sie sich direkt auf Microseeds übertragen lassen.
Damit bleibt festzuhalten: Eine klare gesundheitliche Gefährdung durch Microseeds ist derzeit weder eindeutig nachweisbar noch sicher auszuschließen.
FAQ
Wie lassen sich Microseeds erkennen?
Microseeds sind mit bloßem Auge oft schwer zu erkennen, da sie sich deutlich von voll entwickelten Samen unterscheiden. Typisch sind winzige, harte Partikel, die beim Zerkleinern der Blüten im Grinder oder zwischen den Fingern auffallen können – manchmal begleitet von einem knackenden Geräusch.
Ihr Erscheinungsbild ist sehr variabel: Manche wirken dunkelbraun bis schwarz, andere eher grau, grünlich oder matt. Häufig sind sie unregelmäßig geformt, deformiert oder bruchstückhaft – im Gegensatz zu den glatten, ovalen und glänzenden Samen reifer Pflanzen.
Auch die Rauchqualität kann ein Hinweis sein: Wird der Konsum plötzlich als ungewöhnlich scharf oder kratzig empfunden, könnte dies durch das Verbrennen von Microseeds bedingt sein – wenngleich dies allein kein eindeutiger Beweis ist.
Wie schlimm sind Microseeds?
Nach aktuellem Forschungsstand gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass Microseeds in medizinischem Cannabis ein konkretes Gesundheitsrisiko darstellen. Zwar berichten einzelne Konsumierende von unangenehmem Geschmack, kratzigem Rauch oder leichten Beschwerden wie Kopfschmerzen – diese Beobachtungen sind jedoch nicht systematisch untersucht und lassen sich bislang nicht eindeutig den Microseeds zuschreiben.
Immer wieder kursieren zudem Warnungen über potenziell giftige Substanzen, die beim Erhitzen freigesetzt werden könnten – etwa durch Pflanzenöle oder angeblich Blausäure. Solche Annahmen beruhen jedoch meist auf Erkenntnissen aus anderen Pflanzenarten (z. B. Leinsamen) und lassen sich nicht ohne Weiteres auf Cannabis übertragen.
Microseeds gelten derzeit als unerwünschte, optisch und geschmacklich störende Begleiterscheinung, deren gesundheitliche Relevanz aber wissenschaftlich nicht gesichert ist. Um mögliche Risiken verlässlich einschätzen zu können, bedarf es weiterer Forschung.
Kann man Microseeds als Saatgut für Cannabis-Anbau nutzen?
Im Regelfall: nein. Microseeds sind unvollständig ausgebildete, deformierte oder genetisch instabile Strukturen, denen die Keimfähigkeit fehlt. Im Gegensatz zu voll entwickelten Cannabissamen, die unter passenden Bedingungen austreiben und zu gesunden Pflanzen heranwachsen können, mangelt es Microseeds an Reife und genetischer Stabilität.
Zwar ist denkbar, dass es sich in seltenen Fällen um sehr frühe Entwicklungsstadien „echter“ Samen handelt – doch selbst dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie keimen und zu vitalen Pflanzen heranwachsen, äußerst gering. Hinzu kommt, dass Microseeds häufig beschädigt oder bruchstückhaft auftreten. Ein erfolgreicher Anbau ist damit praktisch ausgeschlossen.
Quellen
(1) Winkler, H. K. A. (1908). Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreiche. Stuttgart: G. Fischer.
(2) Nutzer:innenbeitrag im Forum von International Cannagraphic Magazine: Swollen calyx or hermed? (2011). Verfügbar unter:
https://www.icmag.com/threads/swollen-calyx-or-hermed.233160/ [Zugriff am 30. April 2025].
(3) Nutzer:innenbeitrag im Forum von Rollitup: Large ovules that crackle - never ending mystery (2019). Verfügbar unter:
https://www.rollitup.org/t/large-ovules-that-crackle-never-ending-mystery.985072/ [Zugriff am 30. April 2025].
(5) Cannabis domestication, breeding history, present-day genetic diversity, and future prospects.
(6) Resorption of hydrocyanic acid from linseed.
(7) Comprehensive characterization of mainstream marijuana and tobacco smoke.
(9) Inhalative Suchtmittel – eine Herausforderung für die Lunge.
(10) Pulmonary effects of inhaled cannabis smoke. Substance Use & Misuse
(11) Cannabis use disorder and the lungs
(13) Ziegler, A. S. & Böhmer, P. (2022). Cannabis: Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.